Inklusive Griechenlandfahrt (Erasmus-Projekt)

Komm mit ins Abenteuerland,

dieses Lied hörten sich die körperlich und geistig beeinträchtigten Jugendlichen des Wichernhauses, auf ihrer erlebnispädagogischen Reise nach Griechenland, immer wieder mit Begeisterung an. Für mich Sinnbild für die Fahrt, die ich mit zwei weiteren Mitstudierenden und unserem Dozenten Leonidas Kalavrouziotis im Fach „Internationale vergleichende Heilpädagogik“ mit begleiten durfte. Neun Jugendliche und 12 Betreuer machten sich auf dem Weg, im Rahmen eines Europäischen Jugendaustausches von Erasmus, in Nafpaktos andere junge Menschen mit Behinderung zu treffen, mit ihnen in Kontakt zu kommen und gemeinsam etwas zu erleben.

Nafpaktos

GR-Projekt, Nafpaktos

Macht so eine Reise Sinn? Haben die Jugendlichen was davon und was können wir als angehende Heilpädagogen und Begleitpersonen mitnehmen und lernen?

Besonders prägend war für mich die Hinfahrt. Wir starteten am Montagmittag. Die Fahrt ging mit drei Kleinbussen von Altdorf, mit vielen Pinkelpausen über den Brenner nach Venedig. Dort übernachteten wir auf einem Zeltplatz am Fährhafen. Die meisten schliefen unter freien Himmel oder auch im Zelt. Anschließend kam dann die Überfahrt mit der Fähre nach Griechenland. Erschöpft konnten wir uns am Donnerstag 0:30 Uhr im Hotel einquartieren.

Was waren die Herausforderungen?

Viele der Jugendlichen und Betreuer waren es nicht gewohnt, so lange unterwegs zu sein. Schon beim Packen musste Reise- und Griechenlandgepäck in verschiedene Taschen untergebracht werden. Täglich neue Schlafplätzen finden, immer wieder neu packen und dazu noch die Betreuer kennenlernen.  Wir haben Deutschland, Österreich, Italien, Albanien bereist um in Griechenland anzukommen. Immer wieder war für die Jugendlichen diese lange Zeit auf der Fähre nicht zu begreifen. Warum bekomme ich vom Handy ständig neue Nachrichten mit Tarifinformationen! Kann ich zu Hause anrufen?

 

Die ersten Erkenntnisse:

So groß ist Europa – so viele Länder und noch mehr gehören zu Europa – vieles ist neu, ich brauche Hilfe für die Orientierung und da sind echt nette Menschen, die mir dabei helfen.

Die anfänglichen Unsicherheiten bei den Betreuern waren:

Wie schaffe ich die Kontaktaufnahme?

Wann und wie sind die pflegerischen und medizinischen Aufgaben zu erledigen?

Wie kann ich mich einbringen?

Was hilft den Jugendlichen bei der Orientierung?

In den 7 Tagen in Nafpaktos haben wir unteranderem mit dem Verein Alkyoni unseren „griechischen Freunden“ einen Strand gereinigt, die hausinterne Töpferei und den Bürgermeister besucht, das Orakel von Delphi befragt und die 3,5km lange Brücke von Nafpaktos nach Patras zu Fuß überquert. Zum Abschied fand ein griechisches Fest mit reichlich Essen, Livemusik und Tanz statt.

Die wichtigsten Herausforderungen und Fragen für die Jugendlichen lagen darin:

Wie kann ich vor so vielen Menschen sprechen, eine Begrüßungsrede halten, mich laut und deutlich vorstellen?

Wie kann ich, meine für mich so wichtigen Fragen, wie zum Beispiel das Geburtsdatum des Gegenübers, diesem ohne Griechisch Kenntnisse klarmachen?

Will ich überhaupt Kontakt zu denen?

Wer ist die hübscheste Frau von Nafpaktos und wann tanzt sie mit mir?

 

Für uns als Betreuer:

Wer ist von denen behindert und wer Betreuer?

Über was kann ich mich mit ihnen unterhalten?

Schaffe ich es, beide Gruppe zu vereinen?

Wie schaffen wir es, die verschiedenen Vorstellungen von Zeitmanagement und Durchführung einer erlebnispädagogischen Aktion unter einen Hut zu bekommen?
Wie bringen wir, bei 30 Grad ohne Schatten, die zwei Rollstuhlfahrer den Berg hoch, damit auch die, die Ausgrabungen von Delphi bestaunen können?

GR-Projekt, Delphi

Ohne den „griechischen Freunden“  verbrachten wir viel Zeit an verschiedenen Stränden, sammelten Kräuter im Olivenhain, besuchten ein Konzert zu Ehren des Komponisten Mikis Theodorakis, machten Stadtbummel und probierten die verschiedenen Köstlichkeiten in den Tavernen der Umgebung.

Auch hier zeigte sich, dass die Orientierung in Zeit und Raum ein wichtiges Thema für die Jugendlichen war.

Viele erprobten Neues, aßen unbekanntes, ließen ein kleines Kitesurfsegel als Drachen steigen, schwammen im Meer, sahen, dass Krabben lebendig gebraten werden, sprangen vom Felsen in die Fluten des Meeres, entpuppten sich als tolle Fotografen und durften mit dem Rolli auf der Ladefläche eines Pickups über die Sandinsel düsen. Alle mussten ihr Taschengeld ausgeben, Mitbringsel für zuhause auswählen und ohne Eltern klarkommen.

GR-Projekt, Strand

Gemeinsam entdeckten wir Schätze der Natur, sahen, dass die Griechen ein anderes Verhältnis zu Tieren haben, gingen täglich über unsere Erschöpfungsgrenze, warteten geduldig auf die, die viel zu spät kamen und waren froh, dem verregneten Deutschland entkommen zu sein.

Jeder Jugendliche führte ein Tagebuch. Dieses sollte als Medium für die Reflektion des Erlebten, aber auch als Gedankenstütze fürs spätere Erzählen einsetzbar sein. Je nach Interesse und Fähigkeit wurde dies beschrieben, bemalt, die Eintrittskarten eingeklebt und Prospekte dazu geheftet. Für einige war dies ein wichtiger Tagesordnungspunkt, den sie immer wieder einforderten.

Die Rückfahrt von Patras über Ancona nach Altdorf zeigte, dass die Gruppe zusammengewachsen war, die pflegerischen Aufgaben routiniert erledigt wurden und die Jugendlichen mit mehr Selbstsicherheit die anfallenden Herausforderungen entgegentraten.

Hatten wir Betreuer auch Grenzerfahrungen?

Ja, ich denke schon!

Die griechische Infrastruktur ist nicht auf Menschen mit besonderen Bedürfnissen ausgerichtet. Die Rollis mussten meist auf der Straße geschoben werden, die Autofahrer nahmen darauf keine Rücksicht. Auch die Türen und Toiletten in den Gaststätten waren zu eng für Rollstuhl oder begleitende Personen. Der pietätvolle Umgang mit einer Urinflasche in der Öffentlichkeit war eine echte Überwindung und Herausforderung.

Schwierig war auch den Austausch mit den griechischen Betreuern mit geringen Englisch und keinen deutsch Kenntnissen zu bewerkstelligen.

Und für die berufliche Weiterentwicklung  war es nötig, sich auf das Konzept der Reise einlassen und Zeit und Muse für die Reflexion zu finden.

Immer wieder musste nach kreativen Lösungen gesucht werden, dass alle Teilnehmer – teilnehmen konnten. Dies funktionierte nur mit guter Teamarbeit, in die sich auch die Jugendlichen miteinbrachten.

GR-Projekt, Abschied der Gruppe des ErasmusPlus-Projekts in Griechenland

Im Herbst kommen die Griechen nach Deutschland, wir freuen uns, ihnen unsere Heimat und deren Möglichkeiten zeigen zu können.

 

Heike Lieb, Juni 2016

 

 

                              

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